Erst sprechen – dann chatten

Vortrag über Mediennutzung von Kindern im Sozialpädiatrischen Zentrum

„Kinder wissen sehr gut, was sie wollen und was sie nicht wollen, aber sie wissen vielfach noch nicht, was sie brauchen“, so der dänische Familientherapeut Jesper Juul. Was Kinder heute vor allem wollen, ist; chatten, am Smartphone oder PC spielen und Videos gucken. Das ist nicht immer das, was ihnen gut tut, aber elektronische Medien besitzen eine hohe Attraktivität für Kinder und Jugendliche. Sie sind nahezu überall verfügbar. Sie locken mit schnellen Erfolgen und prompten Belohnungen. Und sie versprechen Spaß und Abenteuer, ohne dafür das eigene Zimmer verlassen zu müssen.

Bildschirmmedien haben Suchtpotenzial. Seit etwa 2005 beobachtet der Diplom-Pädagoge Eberhard Freitag eine wachsende Abhängigkeit bei Kindern und Jugendlichen. 2008 gründete er deshalb in Hannover die Fachstelle Mediensucht „return“, die Beratung und Hilfe beim Ausstieg aus der Sucht bietet. Unter der Überschrift „Was machen Kinder mit Medien? Was machen Medien mit Kindern?“ berichtete er im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Medizin im Dialog“ über die Gefahren eines falschen oder übermäßigen Medienkonsums bei Kindern. Grundproblem sei die rasante technische Entwicklung der vergangenen Jahre. Weder die einschlägigen Gesetze noch pädagogische Konzepte hätten damit Schritt halten können. Elektronische Medien seien zu kinderleicht bedienbaren Alltagsgegenständen geworden. Die Kluft zwischen der Verfügbarkeit der Geräte und der psychosozialen Reife ihrer Nutzer habe sich immer weiter vergrößert. „Wir können die Reife nicht beschleunigen. Kinder im Vorschulalter zu einem kritischen Umgang mit den eigenen Daten im Netz erziehen zu wollen, ist eine Illusion. Wir müssen deshalb die Verfügbarkeit an den Reifegrad anpassen“, lautet Freitags Fazit.

Kinder bräuchten eine verantwortungsvolle Begleitung bei der Mediennutzung. Eltern sollten den Medienzugang und -umgang je nach Reifegrad des Kindes begrenzen und steuern, beispielsweise über festgelegte Nutzungszeiten und Filter, die jugendgefährdende Internetseiten blockieren. Zugleich müssten sie ihrem Kind Entfaltungsmöglichkeiten in der realen Welt bieten: „Kinder wollen an Grenzen kommen, sich beweisen können, echte Helden sein, notfalls auch mal scheitern dürfen. Wenn sie das in der realen Welt tun können, sind sie weniger anfällig für virtuelle Missionen“. Kindern den Weg zu einer mündigen Mediennutzung zu ebnen, sei ein jahrelanger Prozess, der nicht delegiert werden könne: „Wir Eltern kommen aus dieser Nummer nicht heraus. Schule kann unterstützen, aber nicht ersetzen, was zu Hause gelebt oder nicht gelebt wird.“

Gelingt es Eltern nicht, diese Aufgabe wahrzunehmen, ist die Gesundheit ihrer Kinder in Gefahr. Das erleben die Mitarbeiter des Sozialpädiatrischen Zentrum (SPZ) des Johannes Wesling Klinikums in Minden immer wieder. In dieser ambulanten Einrichtung werden Kinder und Jugendliche mit Entwicklungsverzögerungen, ADHS, Lern- und Verhaltensstörungen, Körperbehinderungen und neurologischen Erkrankungen behandelt. Ein multiprofessionelles Team aus 18 Mitarbeitern – darunter Kinderärzte, Psychologen, Ergo- und Physiotherapeuten und Sozialpädagogen – arbeitet hier eng zusammen. Ein Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Ursachendiagnostik. Dabei gerät neben den körperlichen und psychischen Befunden immer auch das soziale Umfeld in den Blick.

„Verhaltensauffälligkeiten nehmen insgesamt zu“, beobachtet Armin Pampel, ärztlicher Leiter des SPZ. Die Ursachen sieht er vor allem in der familiären Situation. „Quer durch alle gesellschaftlichen Schichten gibt es immer mehr Eltern, die in Fragen der Erziehung sehr unsicher sind.“ Trennungssituationen und Bindungsprobleme kämen erschwerend hinzu.

Bleibt das Kind im Umgang mit den Medien auf sich gestellt und gerät der Konsum aus den Fugen, kann es zum Beispiel zu ADHS-ähnlichen Symptomen kommen. Die Frage, wie viel Zeit vor dem Rechner oder dem Fernseher verbracht wird, gehört deshalb im SPZ zu jeder umfassenden Anamnese. „Gar nicht so selten bekommen wir dann die Antwort: Mein Kind sitzt den ganzen Tag am Handy oder am PC und guckt Videos“, berichtet Pampel. Manchmal könne dann eine Begrenzung des Konsums schon nach wenigen Wochen dazu führen, dass sich das Verhalten der Kinder deutlich ändere.
 
Erklärtes Ziel der Mitarbeiter des SPZ ist es,  ausnahmslos jedem Kind die Teilhabe am alltäglichen Leben zu ermöglichen und es seinen Platz in der Gesellschaft und in der Familie finden zu lassen. Gemeinsam mit den Eltern wird geplant, wie die beste Behandlung und Förderung für ihr Kind aussehen könne. Dazu gehört eine geeignete Hilfsmittelversorgung ebenso wie die beratende Begleitung der Familie. Denn nicht nur das zu behandelnde Kind, auch die Angehörigen brauchen Unterstützung: „Es kann ein langer Prozess sein, bis auf Seiten der Eltern die notwendige Akzeptanz für die jeweilige Beeinträchtigung ihres Sohnes oder ihrer Tochter da ist“, so Pampel. Am SPZ ist man bereit, diesen Weg mit den Eltern und ihren Kindern zu gehen.

Wer meint, dass sein Kind professionelle Hilfe im Sozialpädiatrischen Zentrum des Johannes Wesling Klinikum braucht, sollte sich zuvor mit seinem Kinder- oder Hausarzt darüber unterhalten. Eine Behandlung ist nur mit einer Überweisung möglich. Weitere Informationen finden Sie auf der Homepage <link http: www.muehlenkreiskliniken.de>www.muehlenkreiskliniken.de

Newsletter
Klinikfinder