Im Einsatz – Häufig zwischen Leben und Tod

Das Klinische Ethikkomitee am JWK

Vor einer Beratung machen sich Thomas Höpker (l.) und Dr. Jörg Philipps ein eigenes Bild von der Situation eines künstlich beatmeten Patienten.

Rauschen und Klacken eines Beatmungsgerätes sind zu hören. Regelmäßig hebt sich der Brustkorb des Patienten. Doch nicht aus eigener Kraft. Er wird künstlich beatmet. Zwei Tage zuvor hatte sich das Team einer Intensivstation im Johannes Wesling Klinikum Minden (JWK) an das Klinische Ethikkomitee gewandt und um eine Ethikberatung gebeten. Gekommen sind Dr. Jörg Philipps und Thomas Höpker. Vor der Beratungssitzung mit dem behandelnden Team werfen sie noch einmal einen Blick auf den Patienten, um den es geht. Bereits seit drei Jahren besteht das Komitee im JWK. 25 Mal sind seitdem mindestens zwei der insgesamt 16 Mitglieder des Ethikkomitees unterwegs gewesen, um in einer Konfliktsituation eine gezielte Beratung anzubieten. Das Komitee wird geleitet von Dr. Jörg Philipps, Oberarzt in der Klinik für Neurologie am JWK und Thomas Höpker, Fachkrankenpfleger für Innere Medizin und Intensivmedizin auf der Intensivstation I14. Die MKK-Internet-Redaktion sprach mit ihnen über ihre spannende und wichtige Arbeit.

Frage: Warum haben Sie beide begonnen sich für die ethische Dimension ihrer medizinischen und pflegerischen Arbeit zu engagieren?

Dr. Jörg Philipps: In meiner langjährigen Tätigkeit als Klinikarzt habe ich einen Trend beobachten können, dass manche Therapiemöglichkeiten, die wir haben, an den eigentlichen Patientenbedürfnissen vorbeigehen. Eigentlich wollen wir Mediziner helfen, doch ich stellte fest, dass in einigen Fällen die Art der Hilfe, von der ich noch gelernt hatte, dass es die richtige Hilfe ist, nicht unbedingt richtig ankam.

Thomas Höpker: In den 25 Jahren, die ich auf Intensivstationen arbeite, habe ich immer wieder erlebt, wie belastend Situationen für die behandelnden Ärzte, Pfleger und Angehörige sein können. Da herrschte Uneinigkeit im Behandlungsteam und manchmal gab es dann auch Meinungsunterschiede über das weitere Vorgehen mit Angehörigen. Das ist für alle Beteiligten sehr schwierig. Da habe ich nach Lösungsmöglichkeiten gesucht, wie solche Konflikte im Sinne des Patienten gelöst werden können. Dafür ist die klinische Etikberatung ein gutes Instrument.

Frage: Können Sie das an einem Beispiel verdeutlichen?

Dr. Jörg Philipps: Ein junger Mann hat sich bei einem Motorradunfall extrem schwere Hirnverletzungen zugezogen. Er wird operiert und kommt anschließend auf die Intensivstation. Trotz Operation und weiterer Therapiemaßnahmen atmet er nicht spontan und nach fachärztlicher Einschätzung ist die Prognose auch was das Überleben angeht extrem schlecht. Die Angehörigen haben den Fall des Skiunfalls Schumacher vor Augen und fordern weiter maximale Therapie, die behandelnden Ärzte sind sich uneins über die Möglichkeit, die Beatmungstherapie zu beenden.

Frage: Wo ist das Problem?

Dr. Jörg Philipps: Der Patient ist nicht hirntot, da einige Hirnstammfunktionen nicht erloschen sind. Dennoch besteht klinisch ein völliges Fehlen aller weiteren wichtigen Hirnfunktionen, so dass der Patient langfristig mit einer Heimbeatmung am Leben erhalten werden müsste. Eine wahrscheinliche Aussicht auf eine Besserung seines wäre nicht gegeben. Auch wenn der Patient kein Leiden mehr artikulieren kann, muss die Frage nach der Schadensvermeidung bei Patient und Angehörigen hier gestellt werden.

Frage: Und dann?

Thomas Höpker: Mitarbeiter des JWK können sich in so einem Fall direkt über die interne Durchwahl 3590 oder über das Krankenhausinformationssystem mit uns in Verbindung setzen. Angehörige haben die Möglichkeit, sich an das Team auf der Station zu wenden. Wir schauen dann, wer von den Ethikberatern aus dem Haus Zeit hat. Innerhalb von 48 Stunden melden sich dann zwei aus dem Beratungsteam bei dem Antragsteller und vereinbaren einen Termin für eine Ethikberatung. Wir achten darauf, dass weder Arzt noch Pflegekraft in der eigenen Klinik oder auf der eigenen Station berät. Frage: Und bei diesem Termin schlichten Sie dann den Streit zwischen den Kontrahenten?

Dr. Jörg Philipps: Nein, Streit ist der falsche Begriff. Wir versuchen, den ethischen Konflikt zu isolieren und eine Lösung zu finden, die alle nachvollziehen können. Dann wird das Ergebnis wieder auf die konkrete Situation angewendet. Ein Ethikberater moderiert das Treffen und erörtert den Fall mit den Betroffenen, also dem behandelnden verantwortlichen Arzt und Vertretern des Pflegeteams oder auch der Vertreter einer anderer Disziplinen. Manchmal sind auch die Angehörigen selbst bei diesem Gespräch dabei. Der zweite Ethikberater führt ein Protokoll über die Beratung. Frage: Und am Ende steht eine Entscheidung? Weiterbeatmen ja oder nein?

Thomas Höpker: Am Ende einer Beratung steht fast immer ein Konsens als Ergebnis, der allen Beteiligten im Anschluss zugeht und die Patientenkurve als schriftliches Protokoll ergänzt. Dieses Ergebnis kann tatsächlich so konkret sein, kann aber auch die Empfehlung aussprechen noch 14 Tage zu warten, um dann zu einer weiteren Beratung zusammenzukommen.

Dr. Jörg Philipps: Unser Beratungsergebnis ist natürlich auch dem verantwortlich behandelnden Arzt bekannt, da dieser oder ein Vertreter an der Beratung teilgenommen hat. Außerdem ist es im Krankenhausinformationssystem hinterlegt. Der Behandelnde trifft dann die Entscheidung, ob er dem Beschluss der Ethikberatung folgt.

Frage: Und?

Thomas Höpker: Bisher hatten wir 25 Ethikberatungen in drei Jahren. In allen Fällen sind die behandelnden Ärzte dem Beschluss gefolgt. Ganz wichtig ist ja auch, dass sie schon in den Beratungsprozess mit eingebunden waren. Frage: Wie gehen Sie bei einer Beratung vor. Versuchen Sie die Beteiligten von einer höheren Moral zu überzeugen?

Thomas Höpker: Jeder von uns Ist geprägt durch seine Erziehung, durch seinen Glauben, Erfahrungen im sozialen Umfeld und in der Kultur und hat so eine eigene Vorstellung von Moral. Wenn zwei Standpunkte aufeinandertreffen ist es dann schwierig einen Konsens zu finden.

Dr. Jörg Philips: Darum verlassen wir in der Ethikberatung die Ebene der individuellen Moralvorstellungen. Das nennen wir dann eine ethische Betrachtung.

Frage: Das klingt sehr abgehoben.

Thomas Höpker: Wir haben aber sehr konkrete ethische Leitbahnen anhand derer wir jeden Fall beraten. Das sind die vier bioethischen Prinzipien: An erster Stelle steht das Prinzip des Respektes vor der Patientenautonomie, dann folgen die Prinzipien des Nichtschadens, der Fürsorge, bzw. des Nutzens für den Patienten und als viertes das Prinzip der Gerechtigkeit.

Dr. Jörg Philipps: Wir müssen uns immer möglichst weit vom konkreten Konfliktfall entfernen und die Situation abstrakt besprechen. Dann fragen wir eben: Was ist der Wille des Patienten, schadet ihm eine Therapie, hat sie einen Nutzen für ihn und ist es gerecht diese Therapie oder einen Therapieabbruch durchzuführen.

Frage: In den zurückliegenden Jahren ist in der Öffentlichkeit viel über Patientenverfügungen gesprochen worden. Setzen sich die Patienten mittlerweile mit dem Thema auseinander und halten ihren Willen schriftlich fest?

Dr. Jörg Philipps: Ja, es liegen vermehrt Verfügungen vor. Manchmal sind diese aber sehr unkonkret. Wenn dort steht: Ich will nicht an Schläuche angeschlossen werden, dann können die Behandlungsteams damit relativ wenig anfangen. Meint er eine künstliche Ernährung, meint er eine Bluttransfusion oder meint er die künstliche Beatmung? Wir plädieren auf jeden Fall dafür, sich beraten zu lassen, sich mit dem Thema, was ist, wenn ich nicht mehr autonom entscheiden kann, auseinanderzusetzen und sich fachlichen Rat zu holen.

Thomas Höpker: Wir als behandelnde Teams im Krankenhaus mussten ja auch lernen, mit dem Thema Patientenwille und Patientenverfügung richtig umzugehen. So haben wir als Ethikkomitee Leitlinien und einen Dokumentationsbogen entwickelt, wie wir eigentlich festhalten, was wir während eines oft lange dauernden Behandlungsprozesses auf unterschiedlichen Stationen über den eigentlichen Patientenwillen erfahren haben.

Frage: Ist es nicht eine sehr traurige Angelegenheit, mit der Sie sich da beschäftigen?

Dr. Jörg Philipps: Natürlich ist es oft traurig, wenn es um eingeschränkte Lebenserwartung, schlechte medizinische Prognose usw. geht. Aber auf der anderen Seite ist es auch toll zu merken, wie hilfreich es sein kann, sich zu eindeutigen Entscheidungen durchzuringen und diese in einem transparenten Prozess mit allen Beteiligten zu entwickeln. Für die Patienten und die Angehörigen ist das sehr hilfreich.

Thomas Höpker: Für mich ist es immer wieder faszinierend zu erleben, wie in einem sehr hierarchischen Betrieb, wie dem eines Krankenhauses, in den Ethikberatungen interdisziplinär und interprofessionell und auf Augenhöhe diskutiert und um den richtigen Weg gerungen wird. Das motiviert, auch bei all der Traurigkeit!

Frage: Vielen Dank für das offene Gespräch!

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