ZSG-Urgesteine im Ruhestand

Als das Medizinische Zentrum für Seelische Gesundheit noch die Psychiatrie war

Gemeinsam gehen Sie durch das Medizinische Zentrum für Seelische Gesundheit (ZSG) in Lübbecke: Chefarzt Prof. Dr. Udo Schneider (r.) und seine ehemaligen Oberärzte Peter Weidner (l.) und Dr. Heinz Freigang.

Klapse, Anstalt oder Irrenhaus, das waren vor 30 Jahren noch gängige umgangssprachliche Bezeichnungen für die Klinik in der zwei Mediziner Pionierarbeit leisteten. Als 1985 die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Standort Lübbecke aufgebaut wurde, waren sie dabei: Peter Weidner und Dr. Heinz Freigang. Seit wenigen Monaten genießen die ehemaligen Oberärzte des Medizinischen Zentrums für Seelische Gesundheit (ZSG) den Ruhestand. Es ist ein spannendes Gespräch das sie bei einem ihrer Besuche mit ihrem Ex-Chef, Prof. Dr. Udo Schneider, über die Geschichte der Psychiatrie, über Erlebnisse und Erfahrungen führen. "Die Not in der Bevölkerung war damals groß", erinnert sich Freigang. "Die Versorgung psychisch kranker Menschen war absolut unzureichend. Die wurden teilweise zuhause unter extrem schlechten Bedingungen weggesperrt. Teilweise wurden im häuslichen Umfeld die Türklinken abmontiert, damit sie das Zimmer nicht verlassen konnten." Die anderen beiden Experten nicken zustimmend mit dem Kopf. "Der ganze Themenkomplex rund um Menschen mit psychischen Erkrankungen war stigmatisiert. In der Öffentlichkeit oder im Bekannten- oder Freundeskreis wurde höchstens hinter vorgehaltener Hand über das Thema gesprochen", erzählt Weidner. "Offen über die eigenen seelischen Nöte zu sprechen, war für die allermeisten Menschen absolut undenkbar." Anfang der 80er Jahre gab es nur eine Einrichtung in Lengerich, die Patienten stationär aufnehmen konnte. Das Land NRW reagierte damals, um eine wohnortnähere Versorgung im Kreis Minden-Lübbecke zu gewährleisten. Mit dem Neubau des Krankenhauses Lübbecke wurde hier auch eine Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie mit geplant, die 1985 ihren Betrieb aufnahm. Für den heutigen Rentner Freigang eine aufregende und herausfordernde Zeit: "Wir hatten vier Stationen auf jeder wurden Patienten mit den unterschiedlichsten Krankheiten und Krankheitsbildern behandelten. Das reichte von der Alkohol- oder Tablettenabhängigkeit bis hin zu Depressionen oder der Schizophrenie. "Prof. Dr. Udo Schneider hört aufmerksam zu und ergänzt: "Erst wenn man diesen großen Zeitraum komplett überblickt sieht man, wie weit wir uns entwickelt haben. Heute sind unsere spezialisierten Stationen und Abteilungen im ZSG ganz selbstverständlich. Wir haben eine eigene Suchtpsychiatrie, wir haben eine Gerontopsychiatrie, geschützte Stationen entfernt, unsere Tageskliniken in Lübbecke und in Minden, unsere Institutsambulanz oder auch die Psychosomatische Abteilung. In allen Bereichen können wir hoch spezialisiert in die Diagnostik und Therapie einsteigen. Da liegen Welten zwischen den Anfängen und dem Heute." Nach der Eröffnung im Jahr 1985 herrschte ein sehr hoher Aufnahmedruck auf den ganzen Bereich. Viele Patienten waren kaum oder gar nicht ambulant psychiatrisch versorgt. "Wir waren ständig rappelvoll", bestätigt Heinz Freigang. "Wir hatten damals auch aus heutiger Sicht kuriose Probleme. Blutabnehmen für diagnostische Zwecke war in der Psychiatrie nicht vorgesehen, da brauchten wir immer die Unterstützung der Kollegen aus der Somatik."

Laufende Veränderungen
30 Jahre sind eine Zeit, in der sich die Gesellschaft verändert, aber auch der wissenschaftliche Fortschritt eine enorme Entwicklung genommen hat. Hier galt es immer, den Spagat zu machen und aus modernen Entwicklungen das Sinnvolle und Fundierte herauszufiltern und in die Patientenversorgung zu bringen. Viele Trends, zum Beispiel die so genannte Pathologisierung in der Psychiatrie, so Peter Weidner, kamen aus den USA. "Nehmen wir das Beispiel "Verlust eines Angehörigen". In den USA gehen viele unserer Kollegen davon aus, dass 14 Tage Trauer angemessen sind. Wer danach noch trauert, der leidet an einer Depression, die medikamentös behandelt werden muss. Das ist ein sehr plakatives Beispiel, wie die Psychiatrie sich immer wieder neu positionieren muss. Bei uns gilt natürlich: Tiefe Traurigkeit und Niedergeschlagenheit gehören dazu, wenn man einen nahen Menschen verliert. Wir und auch unsere niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen stellten und stellen die Diagnose Depression erst dann, wenn noch mehr Faktoren hinzukommen und die Symptome länger andauern." Anderes wurde im ZSG dagegen schnell eingeführt oder sogar wissenschaftlich begleitet mit entwickelt. Dazu gehören Verfahren wie die Magnetstimulation bei der Behandlung von Depressionen oder der der verstärkte Einsatz psychotherapeutischer Verfahren. "Die Klinik oder das ZSG, wie wir es heute nennen, hat sich komplett verändert", fasst Freigang die vergangenen Jahre zusammen. "Von einer ungeliebten Notwendigkeit sind wir mehr und mehr ins Zentrum gerückt. Auch in der Bevölkerung genießen wir heute eine hohe Aufmerksamkeit. Spannend", dabei schaut er Prof. Schneider intensiv an, "wird es natürlich richtig, wenn im kommenden Jahr die ersten Studenten im Rahmen ihres Medizinstudiums ins ZSG kommen." Der Angeschaute schmunzelt und holt einmal tief Luft: "Ja das ist wirklich eine spannende Aufgabe. Lehre und Forschung in der neuen Psychiatrischen Universitätsklinik zu realisieren wird viel Arbeit mit sich bringen, aber ich freue mich sehr auf die Herausforderung." Das Gespräch kreist kurz über die Möglichkeiten der Nachwuchsgewinnung aus den Kreisen der Studenten, die ab 2016 nach Ostwestfalen-Lippe kommen werden. Zwei Jahre lang verbringen sie dann den klinischen Teil ihres Studiums in den Häusern der Mühlenkreiskliniken und im Klinikum Herford. Ihre ersten Praxiserfahrungen im Bereich Psychiatrie und Psychosomatik werden sie dann im Medizinischen Zentrum für seelische Gesundheit sammeln. Doch schließlich kommen die Ärzte wieder zurück zum Thema Patientenversorgung. Alle Drei sind sich einig, in der näheren Zukunft wird sich vor allem bei unter 30-jährigen Patienten eine weitere stetige Veränderung ergeben. "Etwa ab dem Geburtsjahrgang 1990 gibt es eine Patientengruppe, die mir in den vergangenen Jahren verstärkt aufgefallen ist", erinnert sich Peter Weidner. "Sie sind häufig zu uns gekommen aufgrund einer diagnostizierten depressiven Störung, häufig arbeitslos und vollkommen antriebslos. Das kannte ich vorher nicht in dem Ausmaß." Heinz Freigang sieht gesamtgesellschaftliche Veränderungen als ein Teil des Erklärungszusammenhangs: "Umgangssprachlich könnte man sagen, es fehlt der prägende Küchentisch zuhause in der Familie, an dem gegessen, gesprochen oder auch mal in den Arm genommen wird. Alle modernen Medien können den realen Kontakt nicht ersetzen. Fehlender Bezug zu Menschen in der Umgebung kann eben auch psychisch krank machen." "Sie merken liebe Kollegen", resümiert Chefarzt Schneider, "die Arbeit und auch die Veränderungen werden uns im ZSG nicht ausgehen. Leider müssen wir sie ohne Sie und Ihren reichen und wertvollen Erfahrungsschatz bewältigen."

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