Ein Herzinfarkt auf Video

Privatdozent Dr. Wiemer ist Hauptakteur eines Lehrfilms für Kardiologen

In alten Filmen sieht man es häufiger: Ein Arzt in weißem Kittel operiert umgeben von vollbesetzten Holztribünen einen Patienten. Während der Mediziner mit dem Skalpell hantiert, erklärt er den anderen, was er gerade macht. Diese Art der Wissensvermittlung gibt es seit vielen Jahren nicht mehr - aus gutem Grund. Die hygienischen Anforderungen einer Operation können in Hörsälen im Beisein von hunderten anderer Menschen nicht erfüllt werden. Dennoch ist das Zuschauen, Abgucken und anschließende Diskutieren von Operationsmethoden und Operationstaktiken im Fachkreis auch heute noch wichtig. Nur im ständigen Vergleich zum Vorgehen anderer Ärzte ist ein Hinterfragen des eigenen Handelns, Angleichens und Lernens möglich. Aus diesem Grund nutzt man heute moderne TV-Aufzeichnungen. Dabei wird eine Operation oder eine Behandlung gefilmt und entweder live in einem Hörsaal übertragen oder anschließend als Aufzeichnung vorgeführt.

Privatdozent Dr. Marcus Wiemer, Direktor der Klinik für Kardiologie und Internistische Intensivmedizin am Johannes Wesling Klinikum Minden, wurde von der Deutschen  Gesellschaft für Kardiologie um eine solche Aufzeichnung bei der Behandlung eines Herzinfarkts gebeten. Der Film ist bei der von etwa 6000 Kardiologen besuchten Herbsttagung des Fachverbandes in Berlin gezeigt worden. Neu ist, dass PD Dr. Wiemer nach den neuen Leitlinien der Kardiologen behandelt hat, die erst kurz vorher  auf der europäischen Tagung der Kardiologen in Barcelona beschlossen wurden. "Oft werden bei der Behandlung eines akuten Herzinfarkts im Herzkatheterlabor noch weitere Verengungen oder Problemstellen gefunden. Bislang haben wir uns bei der Akutbehandlung ausschließlich um die herzinfarktauslösende Stelle gekümmert. Für die anderen Problemstellen musste der Patient anschließend noch einmal wiederkommen. Jetzt sind wir angehalten, möglichst alle gefundenen Verengungen sofort zu behandeln", erklärt PD Dr. Wiemer. Für den Patienten bedeutet das, dass er nach der akuten Herzinfarktbehandlung meist mehrere Ballons oder Stents eingesetzt bekommt, dafür aber anschließend keine weitere Herzoperation benötigt. "Medizinisch macht das natürlich Sinn, weil dann mit einem etwas größeren Eingriff alles erledigt ist. Aber es bleibt natürlich immer eine Ermessenssache des Arztes", erläutert Wiemer.

Für die Aufzeichnung in Minden war extra ein Kamerateam angereist. In der Natur der Sache lag es, dass sich das Team etwas Zeit nehmen musste, denn Herzinfarkte sind nicht vorhersehbar. Zwei Tage waren eingeplant, um die Aufnahmen im Kasten zu haben. "Es eignet sich auch nicht jeder Fall. Man möchte ja einen interessanten Fall zeigen, bei dem man auch die neuen Leitlinien exemplarisch anwenden kann", sagt der anerkannte Herzspezialist. Doch das Team konnte die schon gebuchte Hotelübernachtung wieder absagen: Gleich am ersten Tag konnte das Team um PD Dr. Wiemer einen Herzinfarkt behandeln, der die Vorteile der neuen Leitlinien wie aus dem Lehrbuch aufzeigte. Eine Frau hatte während einer Kur nach einer Herzoperation einen erneuten Infarkt bekommen. Ein Gefäß war in der Innenseite eingerissen und ein Gefäßlappen schlug bei jedem Herzschlag durch die Arterie. "Wir haben diese Stelle mit einem Stent stabilisiert. Außerdem gab es eine dritte Stelle in einem hinteren Bereich am Ende einer Arterie, die ebenfalls auffällig war. Auch hier haben wir gemäß der neuen Leitlinien einen Stent gesetzt", erläutert PD Dr. Wiemer das Vorgehen.

Den Kathetereingriff hat der Mindener Herzspezialist mit  dem Oberarzt Dr. Alexander  Samol durch eine Arterie des Handgelenkes durchgeführt. Diese Art des Zugangs ist für den Patienten deutlich angenehmer als der übliche Zugang über eine Leistenschlagader. Da die Leistenschlagadern sehr viel tiefer liegen, müssen die Patienten nach dem Eingriff mit einem starken Druckverband bis zu zwölf Stunden absolut ruhig liegen. Bei der Methode durch die Arterie am Handgelenk können sich die Patienten sofort nach dem Eingriff wieder bewegen. Privatdozent Dr. Wiemer gilt in Kollegenkreisen als großer Anhänger des Handgelenkzugangs. Bei etwa 90 Prozent aller  Eingriffe am Johannes Wesling Klinikum wird diese Methode angewandt. Bundesweit werden weniger als 50 Prozent der Eingriffe so durchgeführt. "Hin und wieder gibt es gute Gründe, warum man über die Leistenarterie gehen sollte. Als Standardmethode sehe ich den Leistenzugang - im Gegensatz zu einigen anderen Kollegen - aber nicht", sagt Dr. Wiemer.  Im Fall des nun gefilmten Eingriffs hatte der Zugang über das Handgelenk neben der besseren Verträglichkeit für die Patientin auch einen medizinischen Grund: "Die Patientin wurde an der Wirbelsäule operiert und konnte schon auf dem Operationstisch kaum noch auf dem Rücken liegen. Eine Ruhephase von zwölf Stunden wäre für sie zu einer Tortur geworden", erklärt Wiemer.

Die meisten der Kollegen des angesehen Mindener Herzspezialisten sahen das nach der Vorführung des Films während der Tagung ähnlich. "Im Kollegenkreis wird durchaus hitzig über den bestmöglichen Behandlungsweg diskutiert. Ich habe aber viel Anerkennung für meinen Vortrag und die OP bekommen", sagt Wiemer, der bereits mehrmals bei Eingriffen  gefilmt wurde.  

Der Patientin ist der ganze Rummel um ihre Behandlung egal. Sie ist froh, dass sie im Johannes Wesling Klinikum bestmöglich versorgt wurde und nun hoffentlich lange ohne Herzprobleme weiter leben kann.

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