Apple Watch: ein Fall für den Kardiologen

Wissenschaftliche Forschung über neues Feature aus Kalifornien

Die Apple Watch wird vermutlich in diesem Jahr unter vielen Weihnachtsbäumen liegen. Die EKG-Funktion bietet einen echten Mehrwert, haben die bisherigen Forschungsarbeiten der Kardiologen des Mindener Universitätsklinikums ergeben.

Immer mehr tragen sie bei sich: die Apple Watch. Die Smartwatch verspricht, ein mobiler Alleskönner zu sein: Kommunikationszentrale, Fitnessarmband und seit Neuestem auch Aufzeichnungsgerät für Gesundheitsdaten. Doch was taugt die EKG-Funktion, die seit der vierten Generation der Uhr mit an Bord ist? Privatdozent Dr. Marcus Wiemer, Direktor der Klinik für Kardiologie am Universitätsklinikum Minden, und Dr. Alexander Samol, Leiter des Herzkatheterlabors, haben sich die Uhr in mehreren wissenschaftlichen Untersuchungen genau angeschaut.

Um es vorweg zu sagen: Die EKG-Funktion der Apple Watch funktioniert - auch wenn sie in Deutschland noch nicht die Zulassung als Medizinprodukt hat. "Wir Kardiogen waren sehr skeptisch, aber die Ingenieure und Programmierer von Apple haben wirklich ganze Arbeit geleistet", fasst Dr. Samol die Ergebnisse seiner bisherigen Forschungen zu dem Thema zusammen. Er hat zusammen mit einem Team aus Mindener Kardiologen in mehreren wissenschaftlichen Untersuchungen die Ergebnisse der Apple Watch Serie 4 und Serie 5 mit den Aufzeichnungen herkömmlicher EKG-Geräte verglichen. "Die Unterschiede waren alle im tolerierbaren Bereich", lautet das erste Urteil des Klinikdirektors Privatdozent Dr. Marcus Wiemer.

Doch die Daten einer Ein-Kanal-Ableitung, beispielsweise durch die Uhr am Handgelenk, sind für den Kardiologen wenig aussagekräftig. "Mit einem Kanal kann man den Herzrhythmus überprüfen, ansonsten aber nur sehr ungenaue Aussagen treffen. Wir benötigen ein Drei-, Sechs- oder sogar Zwölf-Kanal-EKG, um genaue Aussagen über die Herztätigkeit zu treffen", beschreibt Dr. Samol. Dazu werden Elektronen an bis zu zehn verschiedenen Stellen am Körper platziert, die dann für den Kardiologen ein vollständiges Bild ergeben. "Einen Herzinfarkt kann man beispielsweise nur durch Elektrodenpositionen auf der Brust und an den Extremitäten genauer lokalisieren. Eine Apple Watch am Handgelenk hilft da nicht weiter", erklärt der Mindener Kardiologe.

Doch - so die Gedanken der Herzspezialisten am Universitätsklinikum Minden - kann mit der Apple Watch theoretisch nacheinander an verschiedenen Positionen die Herztätigkeit gemessen und anschließend zu einem Gesamtbild zusammengesetzt werden. "Dies ist etwas zeitaufwendiger im Vergleich zu den klinischen Standard-Mehrkanal-EKG-Geräten, doch die Uhr trägt der Patient eben immer bei sich", kommentiert Dr. Sven Kaese, Oberarzt der Klinik für Kardiologie. Das Verfahren wurde in ersten Studien bei mehr als 100 Probanden im Johannes Wesling Klinikum ausprobiert. Das Ergebnis: Bei der Drei-Kanal-Ableitung waren die Ergebnisse mit denen von herkömmlichen EKG-Geräten vergleichbar.

Als Nächstes hatten sich die Mindener Forscher die Sechs-Kanal-Ableitung mit EKG-Positionierungen auf der Brust vorgenommen. Hiermit ist beispielweise eine Durchblutungsstörung der Vorderwand des Herzens für die Kardiologen sichtbar. Das jetzt veröffentlichte Ergebnis der Untersuchung hat auch die Mindener Kardiologen überrascht: "Noch braucht es größere Studien. Aber nach den ersten Erkenntnissen braucht die Apple Watch den Vergleich mit einem herkömmlichen EKG nicht zu scheuen. Theoretisch ist es möglich, dass auch der Laie mit dieser Uhr eine umfassende EKG-Diagnostik zu Hause erstellen kann", sagt Dr. Samol. Die ersten drei Studien aus Minden wurden jetzt in Fachzeitschriften und in einem wissenschaftlichen Videobeitrag veröffentlicht. "Aus dem Silicon Valley haben wir noch nichts gehört. Mal sehen, ob und wann sich Apple bei uns meldet", sagt Dr. Alexander Samol.

Die nächste geplante Studienreihe betrifft die Dokumentation von Herzinfarkten. "Die Vorbereitungen für eine weitere Untersuchungsreihe zur Langzeitanwendung sind ebenfalls in den letzten Zügen", berichtet Privatdozent Dr. Wiemer. Die Ruhr-Universität Bochum hat angekündigt, das größer angelegte Forschungsvorhaben mit einem sechsstelligen Betrag zu unterstützen.

Den Gang zum Kardiologen und insbesondere den Griff zum Telefon bei akut einsetzenden Brustschmerzen machen die Mindener Kardiologen aber nicht überflüssig. "Ein EKG muss und kann nur von einem Fachmann richtig gedeutet werden und bei Auftreten von Brustschmerzen kann jede Minute zählen. Aber in der Diagnostik bei akut einsetzenden Symptomen kann die Apple Watch zu einem echten Mehrwert für die Menschen führen", sagt Dr. Samol. Nach seinen Erfahrungen als Leiter des Herzkatheterlabors am Universitätsklinikum Minden kommen viele Patientinnen und Patienten mit einem Herzinfarkt zu spät zu ihm. "Leider werden einsetzende Beschwerden wie ein Druckgefühl in der Brust oder Schmerzen im Arm vom Patienten oft heruntergespielt und nicht beachtet. Dabei kann man durch eine frühzeitige Wiedereröffnung des verschlossenen Gefäßes in den ersten Stunden nach Infarkt große Schäden am Herzmuskel verhindern", berichtet der Mindener Kardiologe. Die Apple Watch in Verbindung mit einer App, die während bestehender Beschwerden zeigt, wo und an welcher Stelle die Uhr positioniert werden muss, könnte einem Patienten den Ernst der Lage verdeutlichen und zusätzlich auf die zwingend notwendige Alarmierung des Rettungsdienstes hinweisen.

Eine andere Anwendungsmöglichkeit könnte nach Angaben von Oberarzt Dr. Kaese die Aufzeichnung von Rhythmusstörungen durch den Patienten sein. "Oft treten Rhythmusstörungen nicht direkt beim Arzt auf, sondern im Alltag in der häuslichen Umgebung. Mit der Apple Watch könnte der Patient in Verbindung mit einer App Rhythmusstörungen aufzeichnen und so die Einleitung einer adäquaten Behandlung ermöglichen", sagt Dr. Kaese.

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