Virtueller Zwilling hilft bei der OP-Vorbereitung

Ärztinnen und Ärzte trainieren am Universitätsklinikum Minden mit VR-Brillen

Ein Blick durch die Brille. Das virtuelle 3D-Modell entsteht im Raum und ist für alle sichtbar, die eine Brainlab-Brille tragen. So können bis zu vier Ärztinnen und Ärzte über ein 3D-Modell diskutieren.

Für Außenstehende wirkt die Situation surreal: Neurochirurg Professor Dr. Ulrich Johannes Knappe steht mit einigen Kolleginnen und Kollegen in einem Halbkreis, sie alle gestikulieren heftig und sind im Gespräch vertieft. Durch neuartige Virtual-Reality-Brillen sehen die drei Medizinerinnen und Mediziner etwas, was sonst keiner im Raum sieht: ein großes dreidimensionales Gehirn, inklusive der umliegenden Arterien, Venen, Knochen und einen großen Tumor. In diesem Fall testen die drei das neue Trainingssystem „Magic Leap“ der Firma Brainlab anhand eines Übungsfalls. Ab sofort steht das neue System am Universitätsklinikum Minden für OP-Vorbesprechungen und das OP-Training zur Verfügung.

Aus den original CT- und MRT-Daten können am Universitätsklinikum Minden individuelle virtuelle 3D-Modelle berechnet und angezeigt werden. Im dreidimensionalen Raum können so bis zu vier Ärztinnen und Ärzte gleichzeitig über die Anatomie eines Falls oder die OP-Technik diskutieren und beratschlagen. Dazu kann das virtuelle 3D-Modell in alle Richtungen bewegt, hineingezoomt und Schicht für Schicht geöffnet werden. „Wir können uns beispielsweise einen Tumor noch vor der Operation von allen Seiten genau anschauen, können die Lage bewerten und die Grenzbereiche zum gesunden Gewebe. Man kennt die individuellen anatomischen Besonderheiten und die genaue Pathologie schon bevor wir den ersten Schnitt gemacht hat. Das ist faszinierend“, erklärt Professor Dr. Ulrich Johannes Knappe, Direktor der Klinik für Neurochirurgie am Universitätsklinikum Minden. Für ihn als Neurochirurg besonders wichtig ist der beste Zugang zum eigentlichen OP-Gebiet. „Die zentrale Frage für uns Neurochirurgen ist immer, wie können wir das Nervengewebe im Gehirn schützen und dennoch den Tumor vollständig entfernen? Dabei ist es von entscheidender Wichtigkeit, die individuelle Anatomie vorab zu kennen und sich einen exakten individuell abgestimmten OP-Plan zu überlegen. Ein solches Trainingstool bietet einen echten Mehrwert“, erklärt Professor Knappe.  

Die vier neuen VR-Brillen sowie die ausgefeilte digitale Infrastruktur kommen allen chirurgischen Fächern zu Gute. Mithilfe von radiologischen Bildern können aus allen Körperregionen virtuelle 3D-Modelle entstehen. „Diese Technologie versetzt uns als Universitätsklinikum und bei der Weiterbildung von Assistenzärzten natürlich in eine hervorragende Position. Sehr genau können unsere Nachwuchskräfte vor einer realen OP anhand der genauen Daten einen Fall diskutieren und eine OP-Strategie entwickeln. Wir erschaffen einen virtuellen Zwilling der Patientin oder des Patienten und können ihn genau studieren“, erklärt Professor Knappe.

Das neue Trainingssystem wird aber nicht nur der Fort- und Weiterbildung dienen, sondern soll auch die alten Hasen bei der Planung besonders komplizierter Operationen unterstützen. „Große und schwierige Operationen werden immer im Team besprochen und die Strategie gemeinsam festgelegt. Dabei geht es durchaus auch kontrovers zu. Ein virtuelles Eintauchen in die Anatomie kann die Diskussion und die Suche nach der besten Lösung für die Patientin oder den Patienten nochmal bereichern und verbessern“, erklärt Professor Knappe. 

Durch sehr exakte radiologische Daten aus den High-End-MRTs oder einem der weltweit sehr wenigen Photonen-Countern, einem neuartigen quantenzählenden Computertomographen am Universitätsklinikum Minden, werden die virtuellen 3D-Modelle sehr genau. Zudem werden die radiologischen Daten über eine Künstliche Intelligenz (KI) aufbereitet und interpoliert. „Je besser und exakter die radiologischen Bilder, desto besser ist natürlich auch das berechnete virtuelle 3D-Modell“, erklärt Professor Borggrefe, Direktor des Universitätsinstituts für Radiologie am Johannes Wesling Klinikum Minden, der beim ersten Testen von der Weiterverarbeitung seiner Daten völlig begeistert ist. 

Die Kosten für das virtuelle Trainingssystem haben sich die Mühlenkreiskliniken und der Förderverein der operativen Kliniken im Johannes Wesling Klinikum geteilt. Ohne den großzügigen Zuschuss unserer Spenderinnen und Spender über den Förderverein in Höhe von 35.000 Euro hätten wir diese Investition nicht stemmen können. Dieses Trainingssystem bietet einen echten Mehrwert: für uns als Universitätsklinikum, unsere Aus- und Weiterbildungsassistenten und selbstverständlich auch für unsere Patientinnen und Patienten“, sagt Professor Knappe, der sich ehrenamtlich als Vorsitzender des Fördervereins der operativen Kliniken am Johannes Wesling Klinikum e.V. engagiert.  

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