Der nächste Teddy, bitte!

Studierende am Mindener Uniklinikum wollen Kindern die Furcht vorm Arzt nehmen

Tom ist traurig. Seinem Hasen Leo geht es schlecht. Medizinstudentin Özlem Öztürk kann Leo aber schnell helfen.

Für Kinder und Eltern ist es ein Albtraum. Ein Moment der Unaufmerksamkeit beim Spielen, ein Sturz – und mit gebrochenem Arm oder blutendem Kopf muss Sohnemann oder Töchterchen zum Arzt oder sogar ins Krankenhaus. Dort strömt eine Flut von Eindrücken auf den kleinen Patienten ein: die eigenen Schmerzen, vielleicht die Hilflosigkeit der Eltern, das riesige Gebäude, die ungewohnten Geräusche und Gerüche und die Furcht vor dem Unbekannten. 

Um Kindern die Angst vor dem Arzt zu nehmen, haben 30 Studierende des Universitätsklinikums Minden jetzt aus eigener Initiative ein Projekt mit Vorbildcharakter durchgeführt. Einen Tag lang richteten sie im Campusgebäude des Johannes Wesling Klinikums ein „Teddybär-Krankenhaus“ ein. Insgesamt 130 Jungen und Mädchen aus sieben Kindertagesstätten aus Minden und Umgebung kamen zur Teddy-Sprechstunde. 

Mit Puppen und Plüschfiguren im Arm stürmen sie geradezu ins Campusgebäude. Wie im wirklichen Krankenhausbetrieb führt der Weg zunächst zur Anmeldung: „Wer will als erster?“ fragt Medizinstudentin Melis Tahmaz. „Ich!“„Ich!“, rufen die Jungen und Mädchen durcheinander und sind in ihrem Eifer kaum zu bremsen. Ganz selbstverständlich übernehmen die Kinder die Elternrolle, erteilen Auskunft über Namen und Alter ihres Stofftieres und über dessen Erkrankung. „Dr. ted.“ Melis Tahmaz trägt alles sorgfältig in das Aufnahmeformular ein, auf dem unübersehbar ein Teddy prangt. Dann geht es ins Wartezimmer, wo die Kinder erst einmal ihre Jacken und Mäntel ablegen können und wo schon Malsachen für sie bereit liegen. 

Viel Zeit verbringen sie dort nicht, denn schon werden sie einzeln abgeholt und ins „Teddydoc-Zimmer“ gebracht. Die Plüsch-Patienten werden gewogen, vermessen und ausführlich untersucht. Maßbänder und Fieberthermometer, aber auch Stethoskope liegen bereit. Die Teddydocs erklären ganz genau, was sie gerade machen, und die Kinder dürfen mithelfen. 

An einem Behandlungstisch sitzt die fünfjährige Lara mit ihrem Teddy „Mücke“, der offensichtlich einen Unfall gehabt hat. Sie beschreibt dem Teddydoc, was passiert ist: „Mücke ist über den Teppich gestolpert. Das Bein tut ihm weh“, sagt sie traurig. Nach einer kurzen Untersuchung stellt Dr. ted. Jan Schildberg die vorläufige Diagnose: „Verdacht auf Beinbruch links“ und nimmt den kuscheligen Patienten und die besorgte Teddymutter mit in die „Röntgenabteilung“. 

Hinter einem hochmodernen Pappkarton-Röntgengerät (von den Studierenden selbst konstruiert und garantiert strahlungsfrei) kommt Bernadette Kurz ganz schön ins Schwitzen. Für jeden Patienten zeichnet sie passende Röntgenbilder – „hoch aufgelöst und qualitativ hochwertig“, betont die Medizinstudentin lachend, die an diesem Tag dutzendfach Skelette von Bären, Eulen, Ponys, Robben und Löwen, aber auch gebrochene Einhorn-Hörner und Drachenflügel skizziert.  

Bei Teddy Mücke zeigt sich auf dem Röntgenbild sofort das ganze Ausmaß der Verletzung. Das Schienbein ist durch. Lara kann mit eigenen Augen sehen, wo der Knochen gebrochen ist. Es hilft nichts. Eine Operation ist unumgänglich.   

Jeder Teddybär bekommt seine eigene Diagnose und seine eigene individuelle Behandlung. Auch hier dürfen die Kinder selbst Hand anlegen. Begeistert werden Wunden desinfiziert, Pflaster geklebt, Gliedmaßen verbunden, Spritzen gesetzt. Dabei seien es gerade die Spritzen, vor denen junge Patienten normalerweise am meisten Angst hätten, betont Professor Dr. Bernhard Erdlenbruch, Direktor der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin. Umso wichtiger sei es, eine angstfreie Umgebung zu schaffen und positive Erinnerungen im Gedächtnis zu verankern – so, wie es die Studierenden mit ihrem Teddybär-Krankenhaus versuchten. Denn „wenn Kinder Angst haben, erschwert das die Untersuchung und die Behandlung. Außerdem erhöht es die Belastung für die Eltern. Je stressfreier die Behandlung verläuft, desto besser.“ Ein zum Arzt-Termin mitgebrachtes Kuscheltier könne da schon eine große Hilfe sein und eine Brücke zwischen Kind und Arzt schlagen. Denn das A und O für einen guten Kinderarzt sei, sich in die Welt seiner Patienten hineinversetzen zu können. „Und das gelingt unseren Teddydocs heute ganz hervorragend. Man sieht ja, wie gut die Jungen und Mädchen mitmachen und dass sie keine Probleme haben, mit den Studierenden zu reden“, lobt Professor Erdlenbruch.

Die Atmosphäre ist so entspannt und vertrauensvoll, dass nicht einmal der beengte „OP-Saal“, der in einem der Seminarräume eingerichtet ist, den Kindern Angst macht. Im Gegenteil: Mit Haube, Mundschutz und Handschuhen ausgerüstet, reichen die Teddy-Eltern konzentriert das stumpfe OP-Besteck an oder pressen im gleichmäßigen Rhythmus Beatmungsbeutel, während die Teddydocs die schwerkranken Stofftiere operieren. 

Und während ihre Schützlinge gespannt zuschauen, wie die Teddybären wieder „heil gemacht“ werden, hält Erzieherin Katrin Schomburg von der Kita Hahlen für die Eltern alles auf Video fest. Sie ist von der Aktion begeistert: „Für die Kinder ist das einfach toll. Untersuchung, Röntgenbilder, OP: Alles wird  auf Augenhöhe erklärt“, sagt sie. „Die Teddydocs machen das ganz super.“   Natürlich seien die Jungen und Mädchen auf den Besuch in der Klinik vorbereitet worden und es habe auch einzelne Kinder gegeben, die sich entschieden hätten, nicht mitzukommen. „Außerdem haben einige aus Sorge ihr Lieblingskuscheltier zuhause gelassen und lieber ihr zweitliebstes Kuscheltier mitgebracht“, berichtet die Erzieherin schmunzelnd. „Ich bin sicher, dass viele nach ihrem Besuch hier die Entscheidung anders treffen würden.“ 

Unterstützung für ihr Teddybär-Krankenhaus haben die Studierenden von der Medizin-Fachschaft der Ruhr-Universität Bochum erhalten. Dort ist die Bärenklinik bereits seit dem Jahr 2000 fest etabliert. „Ursprünglich kommt die Idee aus Skandinavien“, erläutert Darius Jan Baron, Mitglied der Bochumer Fachschaft. Er hatte die Schulung der Mindener Teddydocs übernommen. „Oberster Grundsatz ist immer: Die Kinder werden bei jedem Behandlungsschritt einbezogen, aber zu nichts gezwungen. Wichtig ist außerdem, dass nicht das Kind, sondern der Teddy im Mittelpunkt steht.“ 

Üblicherweise spiegelten die Krankheiten der Kuscheltiere die Erfahrungen ihrer jungen Besitzer wider – entweder eigene Erkrankungen oder die von Familienmitgliedern oder Freunden. Hellhörig würden die Teddydocs deshalb, sobald ein Kind sagt: „Mein Teddy hat Krebs“, oder „mein Teddy ist geschlagen worden“: „Die Studierenden sind auch darauf vorbereitet und wissen, was sie zu tun haben, wenn sie so etwas hören“, versichert Baron.

Die meisten Teddy-Krankheiten sind jedoch zum Glück weit weniger dramatisch. „Husten, ein gebrochener Arm oder Bauchschmerzen wegen zu viel Schokolade oder Gummibärchen – das sind so die Dinge, die die Kinder am häufigsten nennen“, sagt Bernadette Kurz. Im Grunde seien die Erwartungen  der Jungen und Mädchen an einen Arzt oder ein Krankenhaus ganz einfach: „Da ist etwas kaputt, das muss wieder heil gemacht werden.“

Einige der Kinder, die mit ihrem Kuscheltier zur Behandlung gekommen sind, waren selbst schon einmal im Krankenhaus. Der fünfjährige Tom hatte sich die Schulter gebrochen. „Das hat wehgetan. Aber die Ärzte waren nett“, sagt er. Heute ist er mit seinem Hasen Leo da, der – nach sorgfältiger Behandlung durch Medizinstudentin Özlem Öztürk – schon wieder auf dem Weg der Genesung ist. In der Apotheke des Teddy-Krankenhauses holt sich Tom schnell noch ein paar Tropfen (aus klarem Wasser) und Tabletten (aus Traubenzucker) für seinen kleinen Hasen und verspricht, sich genau an die ärztliche Anweisung zu halten: „Jeden Morgen eine“. Aber „Apothekerin“ Alexandra Beier hat noch einen weiteren Tipp für Tom, der mindestens genauso wichtig ist wie die Medikamente: „Ganz viel knuddeln, ganz viel Liebe, dann geht es deinem Hasen schnell wieder besser.“

Bei der Vorbereitung ihres Projektes hatten die Studierenden auch bedacht, dass ein Klinikaufenthalt nicht selten mit der Abholung durch den Rettungsdienst beginnt. Deshalb standen Mitarbeiter des DRK mit einem Krankenwagen bereit und luden die Kinder dazu ein, sich in aller Ruhe im Wagen umzuschauen. Mit Hilfe von Handpuppe „Marko“ erläuterten sie unter anderem, warum man während der Fahrt im Krankenwagen auf der Trage angeschnallt wird, denn: „Was wird man, wenn man auf der Trage liegt?“ Für die Kindergarten-Kinder war der Fall klar: „Gesund!“

Zum Abschluss bekamen sie von Teddydoc Felix Lingsmirnat noch ein paar praktische Tipps, was man alles tun kann, um auch gesund zu bleiben – viel frisches Obst und Gemüse essen, zum Beispiel. Einen leckeren Apfel bekamen die Kinder gleich mit auf den Weg. Denn es heißt ja: ein Apfel pro Tag erspart den Arztbesuch. Aber für den Fall, dass der tägliche Apfel einmal doch nicht ausreichen sollte, wissen die Kinder jetzt wenigstens, dass sie keine Angst zu haben brauchen. Bei diesen Ärzten sind sie gut aufgehoben.

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