Familien nicht alleinlassen

„Initiative Eltern krebskranker Kinder Minden“ wird 30 Jahre alt

Jedes Kind auf der Station E 22 hat seine eigene „Mut-Perlenkette“: Jede Perle der Kette, die Eva Prasuhn hier in der Hand hält, steht dabei für eine überstandene Therapie oder Untersuchung.

So hoch war die Spende, mit der alles begann. Gut angelegtes Geld, investiert in das Lachen von schwer kranken Kindern und ihren Familien. In Glücksmomente. Hoffnung. Mut. Trost.

Am 13. November 1987 gründeten neun betroffene Eltern und Ärzte den Verein „Initiative Eltern krebskranker Kinder Minden e.V.“. Schon vorher hatten sich die Eltern regelmäßig getroffen, um sich über ihre Situation auszutauschen und einander zur Seite zu stehen. Denn: „Wer wusste vor 30 Jahren schon etwas von Leukämie? Keiner! Da kamen so viele Dinge auf uns zu“, erinnert sich Mitbegründer Rüdiger Limbach. Erst im Jahr 1984 war überhaupt eine Kinderonkologie in Minden eingerichtet worden. Als diese Gruppe von Eltern eines Tages eine Spende in Höhe von 20 DM erhielt, schlug Renate Oevermann, die spätere langjährige 1. Vorsitzende, vor: „Dann können wir es auch gleich richtig machen und einen Verein gründen.“ Gesagt, getan.

Viel hat sich seither verändert – im Hinblick auf die Behandlungsmöglichkeiten, aber auch, was die Unterstützung der betroffenen Familien angeht. Und das ist nicht zuletzt dem Verein „Initiative Eltern krebskranker Kinder Minden e.V.“ zu verdanken. Wenn ein Kind an Krebs erkrankt, bedeute das für die ganze Familie eine absolute Ausnahmesituation. „Da muss man sich ganz um sein Kind kümmern können und hat weder die Zeit noch die Kraft für anderes“, sagt Frank Wolff, der 1. Vorsitzende des Vereins. „Wir wissen das, denn wir waren selbst einmal in der Situation“, fügt er hinzu. In so einer Lage sei Claudia Driftmann, die Erzieherin der Kinderklinik und „das Gesicht des Vereins auf Station“ (Wolff) oft die wichtigste Ansprechpartnerin für die Familien: „Bei ihr laden die Familien ihre Sorgen ab.“ Und die seien nicht selten auch finanzieller Art. „Krebs fragt nicht danach, ob man viel Geld oder wenig hat“, betont Eva Prasuhn, die 2. Vorsitzende. „Krank sein ist im Zweifelsfall teuer.“ 

Die Art und Weise, wie der Verein tätig wird, wenn er gebraucht wird, ist sehr individuell. Er bezahlt Nachhilfestunden für die Geschwister, wenn sie dem Schulunterricht nicht mehr folgen können, oder sorgt für psychologische Betreuung, wenn die emotionale Belastung für sie zu groß wird. Er unterstützt mit Tankgutscheinen, wenn Eltern jeden Tag zur Klinik pendeln und die Fahrkosten überhand nehmen. Und er leistet finanzielle Hilfe, wenn ein krebskrankes Kind im Rahmen der Behandlung an einen anderen Ort verlegt werden muss und die Eltern eine Unterkunft benötigen, um bei ihrem Sohn oder ihrer Tochter sein zu können. Der Verein hilft schnell und unbürokratisch und, wenn es sein muss, rund um die Uhr.

Möglich sei das nur, weil es viele Menschen gebe, die die Initiative zum Teil schon seit vielen Jahren unterstützen – mit kleinen wie mit großen Spenden. Mit Geld, aber auch mit Zeit. „Es gibt da zum Beispiel einen Herrn, der den Kindern regelmäßig Süßigkeiten mitbringt. Oder ein Ehepaar, das gern bastelt und den Erlös aus dem Verkauf dieser Bastelarbeiten dann immer dem Verein spendet“, erzählt Eva Prasuhn. Dank der Spenden können nicht nur finanzielle Nöte der Betroffenen abgefedert werden. Ebenso wichtig sind dem Verein die Veranstaltungen, die auf diese Weise realisiert werden können, „damit die Familien mal rauskommen und andere Erfahrungen machen“. Früher habe es sogar ein eigenes Wohnmobil gegeben, mit dem die Familien mit ihren kranken Kindern einfach mal ins Grüne fahren konnten, berichtet Frank Wolff. Mittlerweile hat der Verein für denselben Zweck ein Mobilheim in Schloss Dankern gemietet – nahe genug, um die Klinik im Notfall schnell wieder erreichen zu können, aber weit genug weg, um den Krankenhausalltag wenigstens für kurze Zeit hinter sich zu lassen. Außerdem engagiert sich die „Initiative Eltern krebskranker Kinder Minden“ bei der Anschaffung von medizinischen Geräten für das Johannes Wesling Klinikum oder bei der räumlichen Ausstattung – zum Beispiel bei der Einrichtung eines Raumes für die Gruppe „Trauernde Eltern“ oder der sogenannten „Quietsch-Küche“.

Die „Quietsch-Küche“ im Eltern-Kind-Zentrum (ELKI) ist ein Raum, der ausschließlich krebskranken Kindern und ihren Familien vorbehalten ist. Dort wird gemeinsam gekocht, geredet und gespielt. Den „guten Raum“ nennt Eva Prasuhn diese Küche auch. Weil hier mitten im Klinikalltag ein Stück Normalität und gutes Leben für die Familien möglich ist. Die gesamte Einrichtung – von der gemütlichen Sitzecke bis zur modernen Spielekonsole – konnte mit Spenden finanziert werden, die der Verein gesammelt hat. Warum der Raum „Quietsch-Küche“ heißt? Dafür gebe es zwei Erklärungen, sagt Eva Prasuhn lächelnd: „Die eine ist, dass es früher in der Küche einmal einen quietschenden Bodenbelag gegeben hat. Die andere, dass die Kinder hier vor Lachen quietschen.“ Es ist die zweite Erklärung, an der ihr Herz hängt und für die sie sich mit ihren Mitstreitern vom Verein stark macht.

Schon am alten Standort in der Portastraße habe es so eine Küche gegeben, berichtet Brigitte Volberg, ehemalige Erzieherin an der Kinderklinik. Sie erinnert sich nur zu gut daran, wie es vorher war: „Weil die Ansteckungsgefahr für die kleinen onkologischen Patienten zu groß war, mussten sie den ganzen Tag in ihren Zimmern bleiben. Erst nachts, wenn alle anderen schliefen, durften sie auch mal über die Flure toben oder, mit dem Infusionsständer im Schlepptau, Bobbycarrennen veranstalten. Der ganze Tagesrhythmus war auf den Kopf gestellt.“ Damals wie heute war die Küche nicht nur ein Ort zum Kochen und Essen, sondern eine dringend benötigte Insel der Normalität. „Die Zeit der Krebsbehandlung ist so unendlich schwer durchzustehen, wenn man nur Trübsal bläst – und die Schmerzempfindlichkeit wächst, wenn man nicht abgelenkt ist“, erläutert Prof. Dr. Bernhard Erdlenbruch, Direktor der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin. Das nächste Großprojekt des Vereins ist deshalb die Neugestaltung der in die Jahre gekommenen Quietschküche. 

Jedes Jahr werden zahlreiche onkologische Patienten auf der Station E22 aufgenommen – Tendenz steigend, so die leitende Oberärztin Dr. Martina Rose. Die Behandlung ist langwierig und eine große körperliche und seelische Belastung für das kranke Kind beziehungsweise den kranken Jugendlichen und für sein ganzes soziales Umwelt. Deshalb ist das 30-jährige Jubiläum der Elterninitiative für die Mitglieder nicht nur ein willkommener Anlass, sich bei allen Spendern zu bedanken, sondern vor allem eins: ein Ansporn, weiterzumachen und die Familien nicht alleinzulassen. 

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