Nicht „nur Spaß“ – Wenn Jugendliche Grenzen überschreiten

Neues Forschungsprojekt am Medizinischen Zentrum für Seelische Gesundheit will Grundlage für Trainingskonzept für die Jugendarbeit entwickeln

Die Inhalte werden in 90-minütigen Gruppensitzungen vermittelt und wurden gemeinsam mit Jugendlichen und Jugendarbeitenden entwickelt. Ziel ist es, das Bewusstsein für eigene Grenzen, Rechte und Rollenbilder zu stärken und dabei alle Jugendlichen – unabhängig von Geschlecht oder sexueller Orientierung – zu erreichen. Foto: iStock/ Ridofranz

Ein internationales Forschungsprojekt mit Beteiligung der Universitätsklinik für Psychosomatik und Psychotherapie in Lübbecke will geschlechtsspezifische Gewalt unter Jugendlichen frühzeitig verhindern und setzt dabei auf Aufklärung, Beteiligung und neue Trainingskonzepte für die Jugendarbeit.

Sexuell übergriffiges Verhalten unter Gleichaltrigen ist ein wachsendes Problem in Europa. Ob unerwünschte Berührungen, verbale Grenzüberschreitungen oder digitale Übergriffe – solche Erfahrungen gehören für viele Jugendliche aller Geschlechter leider zum Alltag.

Besonders betroffen sind Mädchen, junge Frauen sowie Jugendliche aus sexuellen Minderheiten. Um diesem besorgniserregenden Trend entgegenzuwirken, wurde das europäische Präventionsprojekt „PreWorks – Prevention Works“ ins Leben gerufen.

Unter Leitung von Universitätsprofessor Dr. Georgios Paslakis, Leitender Arzt in der Universitätsklinik für Psychosomatik und Psychotherapie am Medizinischen Zentrum für Seelische Gesundheit in Lübbecke, entsteht im Rahmen des EU-Programms Erasmus+ gemeinsam mit Partnerorganisationen aus Belgien, Griechenland, Finnland, den Niederlanden und Deutschland ein innovatives Gruppenprogramm zur Prävention sexuell übergriffigen Verhaltens unter Jugendlichen ab 13 Jahren. Ergänzt wird dieses durch ein begleitendes „Train-the-Trainer“-Modul für Fachkräfte in der Jugendarbeit.

„In der bisherigen Ausbildung von Jugendarbeitenden wird kaum auf den Umgang mit Übergriffen unter Gleichaltrigen eingegangen – oft stehen Erwachsene als Täter und Kinder als Opfer im Fokus“, so Universitätsprofessor Paslakis.

„Dabei sind die Grenzen zwischen altersgerechter sexueller Entwicklung und übergriffigem Verhalten gerade im Jugendalter besonders sensibel. Hier braucht es bei den ehrenamtlichen, aber auch bei den professionellen Betreuerinnen und Betreuern Wissen, Haltung und Handlungskompetenz.“

Ein zentrales Anliegen von PreWorks ist die kritische Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen und gesellschaftlichen Normen, die übergriffiges Verhalten begünstigen können – etwa durch toxische Männlichkeitsideale oder Rollenzuschreibungen, die Unterordnung oder Objektivierung fördern.

Deshalb besteht das PreWorks-Curriculum aus vier aufeinander aufbauenden Modulen zu Geschlechterrollen und gesellschaftlichen Normen, Digitales Selbst und Online-Kompetenz, Sicheren Beziehungen und Schutzstrategien sowie Kommunikation und Einvernehmlichkeit.

Die Inhalte werden in 90-minütigen Gruppensitzungen vermittelt und wurden gemeinsam mit Jugendlichen und Jugendarbeitenden entwickelt. Ziel ist es, das Bewusstsein für eigene Grenzen, Rechte und Rollenbilder zu stärken und dabei alle Jugendlichen – unabhängig von Geschlecht oder sexueller Orientierung – zu erreichen.

Auch die Schulung der Fachkräfte verfolgt einen neuen Ansatz. Sie vermittelt nicht nur aktuelle Forschung und Praxiserfahrungen, sondern fordert die Teilnehmenden auch zur Selbstreflexion über eigene Haltungen und mögliche blinde Flecken auf. Damit soll sichergestellt werden, dass Jugendarbeitende übergriffiges Verhalten erkennen, adäquat thematisieren und dabei zwischen Entwicklungsverhalten und tatsächlichen Grenzüberschreitungen differenzieren können.

Die entwickelten Materialien werden derzeit fertiggestellt und stehen ab Januar 2027 auf der Projektwebsite www.preworks.eu frei zur Verfügung.

Auch die „Train-the-Trainer“-Kurse sollen nach Projektabschluss über die Website buchbar sein. Damit wird gewährleistet, dass die Ergebnisse und Schulungsinhalte nachhaltig in die Bildungs-, Jugend- und Gleichstellungsarbeit europaweit integriert werden können.

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