Mikrochirurgie mit maximaler Sicherheit

Interdisziplinärer Workshop am neurochirurgischem OP-Tisch

Cockpit-Instrumententisch: Ute Höfer-Knappe legt die Instrumente für die OP bereit.

Der Raum ist knapp 40 Quadratmeter groß. In der Mitte eine Aufnahme für den OP-Tisch. Von der Decke hängen große Leuchten und Monitore. Entlang der Wände: technische Geräte, Instrumente und Hilfsmittel, einiges davon steril verpackt. Viel Platz eigentlich. Bis es ernst wird und alles für die bevorstehende OP hergerichtet wird. Dann beginnt eine Choreografie ganz eigener Art, mit genau festgelegten Abläufen. Und aus dem großen Saal wird ein Arbeitsplatz, an dem jeder Zentimeter gebraucht wird und jeder seinen Platz hat.

„Was wir hier tun, ist extrem komplex und deshalb auch sehr stark standardisiert“, sagt Ute Höfer-Knappe.“ Hier: Das ist die Klinik für Neurochirurgie am Universitätsklinikum Minden. Hier werden hoch präzise Operationen an Gehirn und Wirbelsäule vorgenommen. Und Ute Höfer-Knappe ist hier Fachverantwortliche für den Funktionsdienst und Praxisanleiterin. Gerade hat sie einen Workshop für ihre Kolleginnen und Kollegen organisiert. „Wir arbeiten in wechselnden Teams, mit unterschiedlichen Professionen, unterschiedlichen Fähigkeiten und Fortbildungen. Die Patientensicherheit steht bei uns über allem. Deshalb üben wir“, erklärt sie. Damit bei der OP jeder Handgriff sitzt, jeder genau weiß, wo, was, wann, von wem zu tun ist. Denn jede OP ist eine Teamleistung und Ärzt*innen und Fachkräfte aus der OP-Pflege arbeiten Hand in Hand.

Der Workshop soll unter so realistischen Bedingungen wie möglich stattfinden, das bedeutet im OP, aber ohne Patienten. Geplant ist er schon seit Monaten, trotzdem wird der Tisch, auf dem später der Leitende Oberarzt Dr. Ali Alomari die Rolle des Patienten übernehmen wird, erst in letzter Minute in Saal 1 geschoben. „Es könnte ja sein, dass noch ein Notfall dazwischenkommt.“

Nicht alle Teilnehmenden haben – wie Ute Höfer-Knappe – ihren Schwerpunkt in der Neurochirurgie. Chiara Cieslik etwa ist Fachverantwortliche für den Bereich Gefäßchirurgie, aber „es kann im Dienstplan vorkommen, dass wir für eine OP in der Neurochirurgie eingesetzt werden“. Deshalb nimmt sie sich am Wochenende Zeit, um sich fortzubilden. „Unser Alltag ist so eng getaktet, da lässt sich das nur außerhalb des regulären Dienstes umsetzen.“ Auch eine Fachkrankenschwester aus der Anästhesie ist dabei, Oberarzt Dr. Ali Alomari und als „Gastdozent“ Prof. Dr. Ulrich J. Knappe, Direktor der Klinik für Neurochirurgie.

„Kleiner Situs, großer Aufbau“ ist der Workshop betitelt. „Situs“, das ist das Operationsgebiet. In diesem Fall soll es um einen Hypophysentumor gehen, der „von unten“ durch die Nase operiert wird. Bevor es an den OP-Tisch geht, wird es aber erst theoretisch: Professor Dr. Knappe erläutert anatomische Grundlagen und medizinische Indikationen für eine solche OP. Erst danach wird kontrolliert durchgespielt, was für die Pflegefachkräfte im beruflichen Alltag Routine ist. Die richtige Lagerung des Patienten. Das Abdecken mit Tüchern. Die Vorbereitung des OP-Bereiches.

Das große Mikroskop, das die hochpräzisen Eingriffe erst möglich macht, wird in eine sterile Folie gehüllt und am Kopfende des OP-Tisches platziert. Monitore werden eingerichtet, Lampen so gedreht, dass ihr Licht nicht blendet. Die Fußschalter unter dem Tisch, mit denen unter anderem das Mikroskop bedient wird, werden in einer bestimmten Reihenfolge angeordnet. Rechts vom Patienten wird der Operateur seinen Platz haben, links sind die Gerätschaften der Anästhesie aufgebaut: weitere Monitore, auf denen die Vitalzeichen überwacht werden, ein Beatmungsgerät.

Eine Vielzahl chirurgischer Instrumente wird auf einem Tisch am Fußende des Patienten bereitgelegt. Für die Instrumente ist die OP-Schwester verantwortlich und nur sie. Das ist ehernes Gesetz, auch wenn Ute Höfer-Knappe schmunzelt, als sie sagt: „Man greift der OP-Schwester nicht auf den OP-Tisch.“ Sie wird während des Eingriffs jedes einzelne Instrument anreichen, damit die Operateurin sich ganz auf den Blick durchs Mikroskop und die Arbeit konzentrieren kann.

Neben den an einer OP beteiligten Ärztinnen und Ärzte gehören immer mindestens zwei Fachkräfte aus dem OP-Funktionsdienst zum Team: ein sogenannter „Springer“, der sich im nicht-sterilen Bereich aufhält, und eine Pflegefachkraft, die direkt am Tisch im sterilen Bereich arbeitet. Die Laufwege im OP-Saal müssen genau aufeinander abgestimmt sein – und jetzt, wo alle Gerätschaften an ihrem Platz stehen, wird es da schon sehr viel enger. Der Raum ist eine kleine Welt für sich, mit klimatisierter Luft, im Halbdunkel, mit eigener Geräuschkulisse, in der jeder konzentriert bei der Sache ist.

Und dann plötzlich wird es laut: „Die Carotis blutet“, ruft Prof. Dr. Knappe. Ein lebensbedrohlicher Notfall wird simuliert. Die Schlagader ist verletzt. Der enge Kanal, in dem der Chirurg operiert, läuft schnell voll mit Blut, das der Sauger nicht schnell genug entfernen kann. Die Reaktion erfolgt sofort: „Zweiter Sauger her,“ wird gerufen. „Blutkonserven bereit.“ Denn bei der Vorbereitung der OP wurden bereits mögliche Komplikationen mitbedacht. Außerdem wird vor jeder OP sorgfältig eine Checkliste abgearbeitet, wie bei einem Flugzeugstart. „Safety first“, im Interesse des Patienten. „Man muss vorbereitet sein, es kann immer etwas passieren“, sagt Ute Höfer-Knappe. „Deswegen ist immer auch vieles aufgebaut, was wir im Regelfall gar nicht brauchen.“ Auch ein weiterer Check vor dem Ende der OP, das sogenannte „Sign out“, gehört zur Sicherheitsroutine.

Dass an diesem Vormittag zum Glück alles nur Simulation ist: Dieser Gedanke tritt beim Handeln in den Hintergrund und gerät erst wieder ins Bewusstsein, als die „Krise“ bewältigt ist. Wie ein Uhrwerk läuft die Arbeit im Team ab, beschreibt Ute Höfer-Knappe das. Was es dafür vor allem braucht? „Ganz viel Kommunikation.“ Aber auch ein Verständnis für die Arbeit der anderen Professionen, deshalb werden während des Workshops auch mal die Rollen getauscht. Die OP-Pflegefachkräfte setzen sich ans Mikroskop und üben den Einsatz der filigranen Instrumente, Professor Dr. Knappe und Dr. Alomari übernehmen das Anreichen der OP-Instrumente. „Man bekommt eine neue Perspektive“, bestätigt Mina Besirevic, operationstechnische Assistentin (OTA). Dieser neue Blickwinkel kommt später einer besseren Zusammenarbeit zugute.

Das Fachwissen und die Handlungssicherheit in einem extrem herausfordernden Aufgabengebiet zu vertiefen: So hatte es sich Ute Höfer-Knappe mit ihrem Workshop vorgenommen. Ziel erreicht lautet das Fazit. Flugzeug sicher gelandet.

 

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