Mütterlich assistierter Kaiserschnitt

Verfahren erstmals in Deutschland angewandt

Kurz vor der Premiere: Dr. Manfred Schmitt, Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe im Krankenhaus Bad Oeynhausen, bereitet sich auf bevorstehende Operation vor.

Es war eine kleine Premiere, die da Ende Mai in einem der Operationssäle im Krankenhaus Bad Oeynhausen stattfand. Soweit die Recherchen der Mühlenkreiskliniken ergeben haben wandten die Geburtshelfer in der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe im Krankenhaus Bad Oeynhausen das erste Mal in Deutschland das Verfahren des Mütterlich assistierten Kaiserschnitts an. Die Methode stammt aus Australien. Dabei greift die Mutter aktiv ins Geschehen mit ein. Ist das Operationsfeld so weit vorbereitet, hat sie die Möglichkeit, ihr Kind mit den eigenen Händen auf die Welt zu holen. Dr. Manfred Schmitt, Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe im Krankenhaus Bad Oeynhausen hatte über die Medien davon erfahren: "Ich stand dieser Methode anfänglich sehr skeptisch gegenüber. Wir haben das im Kollegenkreis und mit unseren Hebammen einfach mal fachlich diskutiert und fanden außer einem gewissen unbehaglichen Gefühl keine nachhaltigen Gründe für unsere Skepsis." Hinzu kam die Erfahrung des gesamten geburtshilflichen Teams, dass Frauen nach ihrer Entbindung per Kaiserschnitt immer wieder von einem Gefühl des Ausgeliefertseins berichteten. "Besonders stark ist dieses Gefühl bei Frauen, die unter Vollnarkose entbinden", ergänzt Irina Wittemeier. Sie ist Beleghebamme im Krankenhaus Bad Oeynhausen. "Sie werden nach dem Eingriff wach und haben plötzlich ein Kind. Den ganzen Vorgang, wie das Kind auf die Welt kommt, haben Sie nicht miterlebt. Viele Frauen empfinden das als belastend." Genauso war es auch bei der ersten Frau, die mit der neuen Methode im Krankenhaus Bad Oeynhausen entbunden hat. Insofern war sie sehr interessiert, mit einem mütterlich assistierten Kaiserschnitt zu entbinden.

Sicherheit für Mutter und Kind
"Für uns steht und stand die Sicherheit von Mutter und Kind an oberster Stelle", erklärt Chefarzt Schmitt. "Und so sind wir mit unseren Kollegen aus dem Institut für Anästhesie und Intensivmedizin und aus dem Operationsdienst durchgegangenen, was wir ändern müssten, damit ein mütterlich assistierter Kaiserschnitt möglich ist." Am Ende war es gar nicht so viel. Die Arme der Patientin mussten weitgehend frei bleiben von Infusionskanülen und Messinstrumenten. Diese konnten einfach weiter am Oberarm angebracht werden. Ganz wichtig war, dass die Keimfreiheit der Hände der werdenden Mutter gewährleistet war. "Für das Kind ist das kein Problem. Wir mussten aber sicherstellen, dass die Mutter sich nicht selber gefährdet. Bei einem Kaiserschnitt handelt es sich um eine große Operationswunde, die natürlich unter allen Umständen vor möglichen Infektionserregern geschützt werden muss." Durch das Anziehen von OP-Handschuhen und einer Abdeckung der Arme war aber auch hier die nötige Sicherheit gewährleistet. Am Ende des sehr sorgfältigen Planungsprozesses stand die Entscheidung der Patientin und des geburtshilfliches Teams fest: "Wir machen es!" Um 8.00 Uhr morgens begann der geplante Eingriff.

Die Schwangere bekam eine rückenmarksnahe Narkose, die es ihr erlaubte, den Oberkörper und vor allem die Arme zu bewegen. Wie zuvor detailliert abgestimmt, lief ansonsten die Routinevorbereitung auf eine Kaiserschnitt-Operation. Tatsächlich dauerte es nur etwa eine halbe Stunde bis der neue Erdenbürger auf der Welt war. Chefarzt Schmitt und sein Team führten die Operation wie üblich durch. Nur statt den Säugling komplett aus dem Bauchraum der Mutter zu heben, präparierte der erfahrene Geburtshelfer das Kind frei und zog es ein Stück hervor. Dann wurde das OP-Tuch, dass bis hierhin die Mutter vom OP-Geschehen abgeschirmt hatte, heruntergenommen. Jetzt konnte sie assistiert vom Chefarzt, ihre Hände um ihr Kind legen und es selber komplett auf diese Welt holen und sich auf die Brust legen. Chefarzt Manfred Schmitt war sehr zufrieden mit dem Verlauf. "Mutter und Kind geht es hervorragend, das ist das Wichtigste. Wenn es von der Diagnose und vom Elternpaar her passt, ist der mütterlich assistierte Kaiserschnitt eine alternative Geburtsform, die wir sicherlich noch mehrfach anwenden werden.

 

Der ersten Veröffentlichung der Deutschlandpremiere des mütterlich assistierten Kaiserschnitts folgte ein großes Presseecho und es setzte eine Fachdiskussion ein, die noch immer anhält und sich teilweise in den Medien wiedergefunden hat. Hier einige Eindrücke, die helfen können, einen sachlichen Diskurs fortzusetzen:

Mitteilung des Landesverbandes der Hebammen NRW vom 3. Juni 2015:
„…Beim mütterlich assistierten Kaiserschnitt legt der Arzt das Kind frei, so dass die Mutter in der Lage ist, das Kind zu fassen und es mit ihren eigenen Händen auf die Welt holen kann. Der Gedanke dahinter: Mutter und Kind sollen sofort eine engere Beziehung erleben, die Mutter den Kaiserschnitt in einem höheren Maß als üblich als selbstbestimmt erfahren. Hebammen motivieren Frauen dazu, ihren Bedürfnissen entsprechend zu gebären. Denn es ist ihre Geburt, ein einzigartiges Erlebnis. Deshalb unterstützen wir grundsätzlich alles, was Mutter und Kind hilft, eine gute Beziehung aufzubauen. Dazu gehört, dass das Kind nach der Geburt im Kontakt zur Mutter bleiben kann und - wenn Versorgung notwendig ist - auch im Beisein der Mutter und des Vaters - versorgt wird. …. Unter der natürlichen Geburt kann die Gebärende ihr eigenes Tempo selbstbestimmt vorgeben. Die Eigenständigkeit beim mütterlich assistierten Kaiserschnitt beschränkt sich im Wesentlichen auf das "Herausziehen" des Kindes. Dies erfolgt jedoch in einem komplexen operativen Eingriff, auf den die Gebärende ansonsten keinerlei Einfluss nehmen kann. Ein positiver Nebenaspekt: Die Hände der Gebärenden sind beim mütterlich assistierten Kaiserschnitt nicht fixiert. Das sollte Standard werden, um der Frau - soweit wie möglich - Bewegungsfreiheit zu gewähren. Dennoch bleiben Zweifel: Frauen können eigenständig und selbstbestimmt gebären – auch ohne Klinik und ohne Kaiserschnitt, wenn keine medizinische Notwendigkeit besteht.“

Deutsche Presse Agentur vom 6. Juni 2015:
„…„Das hat medizinisch überhaupt keinerlei Nutzen, sondern ist Ausdruck einer Eventkultur, die wir in der Medizin gerade im Bereich Schwangerschaft und Geburt erleben“, kritisiert Professor Ekkehard Schleußner vom Uniklinikum Jena. Er sieht Risiken: „Die Sterilität des OP-Gebietes wird potenziell gefährdet“, die Mutter sei kein Fachpersonal. Schleußner ist im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, die sich seit Jahren für die Senkung der Kaiserschnittrate in Deutschland einsetzt. Inzwischen kommt fast jedes dritte Kind per Kaiserschnitt zur Welt, vor 15 Jahren lag die Quote noch bei 21,5 Prozent. Da wirke ein Angebot wie der mütterlich assistierte Kaiserschnitt eher als Verstärkung: „Das ist doch eher Marketing für den Kaiserschnitt als vermeintliche Optimallösung“, sagt Schleußner. Tatsächlich reagiert die Geburtshilfe schon länger auf den Wunsch von Müttern, das Zur-Welt-Kommen ihres Kindes trotz Kaiserschnitts mitzuerleben. …“


Professor Wolfgang Henrich von der Berliner Charité suchte nach einem Weg, den Eingriff für die Eltern natürlicher zu gestalten und wurde fündig bei Londoner Kollegen: Als „Kaisergeburt“ hat er 2012 in Deutschland ein Prinzip eingeführt, bei dem die Mutter im entscheidenden Moment zuschaut oder sogar presst. Dafür lüften die Mediziner den Sichtschutz, wenn der Arzt das Köpfchen aus dem Bauch hebt. Es gehe darum, den OP-Charakter in den Hintergrund zu drängen und durch Simulation die Geburt in den Vordergrund zu rücken. Der Vater darf die Nabelschnur durchtrennen. Danach übergibt der Arzt das Kind der Hebamme, die es auf den Oberkörper der Mutter legt. „Kind und Mutter können sofort gegenseitig die Wärme spüren, Herzschlag, Geruch“, sagt Henrich. Der Hautkontakt beruhige das Baby. Dass die Eltern den Vorgang auch sehen könnten, erhöhe ihre Zufriedenheit – das habe eine Evaluation des Vorgehens gezeigt. Auch dass das Prinzip sicher sei und die Kaiserschnittrate nicht steigen lasse, zeige die Erhebung, sagt Henrich. Mittlerweile entschieden sich 70 Prozent aller Kaiserschnittkandidatinnen für die „Kaisergeburt“ – allerdings nur, und das betonen Schmitt wie Henrich, wenn medizinische Gründe für den Kaiserschnitt vorliegen. Was seine Kollegen in Bad Oeynhausen machen, betrachtet Henrich dennoch mit Zurückhaltung. „Ich glaube eher nicht, dass das auf großes Interesse bei Müttern wie Operateuren stoßen wird“, sagt er. Kritiker Schleußner hingegen befürchtet: „Das wird kein Einzelfall bleiben“.


Antwort auf Presseanfrage vom 12.06.2015, Prof. Dr. Ulrich Cirkel, Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe im Johannes Wesling Klinikum Minden:
„Grundsätzlich gilt, dass bei einer Geburt der Kaiserschnitt nur eine Option ist, wenn es darum geht die Gesundheit von Mutter und Kind zu schützen und zu bewahren. Nach diesem Prinzip wird, soweit ich das beurteilen kann, in allen geburtshilflichen Abteilungen der Mühlenkreiskliniken verfahren. Bei dem sogenannten mütterlich assistierten Kaiserschnitt greift die werdende Mutter aktiv – auch wenn mit sterilen Handschuhen – in das operativ Verfahren ein. Auch bei der normalen vaginalen Geburt ist es nicht üblich, dass die werdende Mutter aktiv mit ihren eigenen Händen das Kind aus dem Geburtskanal leitet. Fragen der Hygiene und der letztendlichen operativen Versorgung bei der sogenannten mütterlich assistierten  Kaiserschnittgeburt können nicht als hinreichend geklärt angesehen werden, weshalb derzeit dieses operative Entbindungsverfahren als wissenschaftlich nicht etabliert eingeschätzt werden kann. Aus diesen Gründen ist momentan ein Einsatz dieses Entbindungsweges an der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe im Johannes Wesling Klinikum in Minden nicht vorstellbar.“

Antwort auf Presseanfragen vom 11.06.2015, Dr. Manfred Schmitt, Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Krankenhaus Bad Oeynhausen:
Wir haben das neue Verfahren, des mütterlich assistierten Kaiserschnitts jetzt einmal angewandt. Die Erfahrungen die wir bisher sammeln konnten waren durchweg positiv und ermutigen mich und meine Klinik, an der Methode festzuhalten. Allerdings gibt es einen engen Rahmen, innerhalb dessen dieses Verfahren zum Einsatz kommen kann.

1. Es muss einen medizinischen Grund für den Kaiserschnitt geben,
2. Die werdende Mutter muss den Wunsch haben, auf diese Art zu entbinden,
3. Die werdende Mutter muss intensiv auf die Operation vorbereitet und hygienisch geschult werden,
4. Die Mutter muss in der Lage sein, sich an die Grundregeln während eines operativen Eingriffes zu halten.

Liegen alle diese Voraussetzungen vor, kann ich mir gut vorstellen, dass auch weitere Schwangere bei uns mütterlich assistiert entbinden.

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