„Russland hat gezielt große Arzneimittellager angegriffen“

Ukrainischer Arzt begleitet zweiten Hilfskonvoi in das Kriegsgebiet

Dr.  Valentyn Piontkovskyi ist Ärztlicher Direktor im Krankenhaus von Riwne. Er hat den zweiten Transport von Minden in die Ukraine begleiten dürfen. In Minden berichtet er in einem sehr persönlichen Gespräch über seinen Alltag in der Ukraine, über tägliche Luftangriffe und über die Angst, auch zur Frontstadt zu werden. 

Es werden Spendengelder für einen dritten Transport gesammelt. 
Spenden Sie auf das Konto der Fördergesellschaft des Lions Clubs Porta Westfalica e.V.:
IBAN DE83 4905 0101 0040 0450 15 und nutzen Sie dabei das Stichwort „Ukrainehilfe MKK“.

Wie präsent ist der Krieg bei Ihnen in Riwne?

Dr. Valentyn Piontkovskyi: Der Krieg bestimmt unser Leben – auch bei uns in Riwne, das recht weit im Westen der Ukraine liegt. Bei uns verlief bisher keine Front.  Aber wir haben jeden Tag fünf bis sechs Warnungen vor Luftangriffen. Jeder Ukrainer hat eine App auf dem Handy, über die vor russischen Luftangriffen gewarnt wird. Dann muss jeder sofort in den Keller gehen, auch unsere Patienten. Bettlägerige Patienten schieben wir in den Flur, weil es da am sichersten ist.

Gab es schon Luftangriffe bei Ihnen?

Dr. Piontkovskyi: Ja, immer wieder. In den letzten zwei Wochen etwa sechs. Unter anderem wurde der Fernsehturm von Riwne getroffen. Da gab es 20 Tote und viele Verletzte. Immer wieder müssen wir Kriegsverletzte behandeln.

Sind die schrecklichen Bilder aus Butscha und anderen Orten unter den Ukrainern bekannt?

Dr. Piontkovskyi: Ja, natürlich. Wir sehen alle diese Bilder. Radio, Fernsehen, Telefon und Internet funktionieren in weiten Teilen des Landes. Nur wenn der Strom in einigen Regionen ausfällt, kann es mal sein, dass einige Landstriche von Informationen abgeschnitten sind. Wir kennen die Bilder, wir kennen die Gräueltaten und jeder von uns kennt auch jemanden, der solche Misshandlungen, Folterungen und Erschießungen gesehen hat. Russland wird es nicht schaffen, seine Lügen als Wahrheit zu verkaufen.

Haben Sie Angst?

Dr. Piontkovskyi: Natürlich habe ich Angst um meine Familie. Noch geht es uns in Riwne verhältnismäßig gut. Je weiter man in den Osten kommt, desto angespannter ist die Situation. Trotzdem ist jedem bewusst, dass der Krieg jederzeit zu uns kommen kann. Viellicht ist Riwne morgen das neue Butscha.

Wie sieht die Versorgungssituation aus?

Dr. Piontkovskyi: Die Supermärkte sind geöffnet und es gibt Nahrungsmittel. Allerdings deutlich weniger Auswahl und zu höheren Preisen. Ich würde sagen, wenn ein Supermarkt sonst 4.000 Artikel führt, sind es jetzt etwa 500. Man muss also flexibel sein. Bei uns in Riwne muss niemand hungern. Wir passen alle gut aufeinander auf. Der Zusammenhalt ist groß. Aber auch hier gilt: je weiter im Osten, desto schwieriger die Situation.

Zusammen mit dem Lions Club Porta Westfalica organisieren die Mühlenkreiskliniken mit Unterstützung der gesamten Region Hilfskonvois mit Arzneimitteln. Wie wichtig sind diese Lieferungen?

Dr. Piontkovskyi: Sehr wichtig. In den ersten Kriegswochen hat die russische Luftwaffe gezielt große Arzneimittellager angegriffen und zerstört. So waren alle Lagerbestände beispielsweise von Kontrastmitteln oder Insulin auf einen Schlag vernichtet. Wir kommen mittlerweile an einige Medikamente wieder sehr gut ran, an andere gar nicht. Deswegen ist es so hilfreich, dass wir unseren Freunden aus den Mühlenkreiskliniken genau sagen können, was wir brauchen und auch genau das gespendet bekommen. Das hat sehr vielen Menschen das Leben gerettet. Im Namen des ukrainischen Volkes möchte ich mich vom ganzen Herzen dafür bedanken.

Sind alle Lieferketten abgebrochen?

Dr. Piontkovskyi: Mittlerweile sind einige Lieferketten über den Landweg wieder angelaufen. Der Seeweg und der Luftweg sind weiter blockiert. Ohne Spenden wie die aus Minden wären noch viel mehr Menschen gestorben, weil uns bestimmte Hilfsmittel für die medizinische Versorgung gefehlt hätten. Und auch jetzt brauchen wir Unterstützung, weil es bestimmte intensivmedizinische Medizinprodukte wie Nahmaterial und einige Antibiosen nicht gibt.

Was passiert mit den Spenden?

Dr. Piontkovskyi: Die Medikamente und die Medizintechnik aus Hilfslieferungen werden sofort auf verschiedene Krankenhäuser verteilt, insbesondere auch in den Osten. Das klappt sehr gut. So profitieren alle Krankenhäuser im gesamten Land von den Hilfslieferungen. Das Militär überwacht dies. Deshalb habe ich auch eine zeitlich streng begrenzte Ausreisegenehmigung bekommen, um diesen zweiten Transport zu begleiten. Wenn ich nicht rechtzeitig zurück in der Ukraine bin, bekommt meine Familie Probleme und mir drohen zehn Jahre Gefängnis.

Werden die Solidarität und die Unterstützung von der ukrainischen Gesellschaft in der Situation überhaupt wahrgenommen?

Dr. Piontkovskyi: Ja, auf jeden Fall. Das ukrainische Volk ist sehr dankbar für die Hilfe aus dem Ausland. Und wir bekommen Hilfe auf ganz unterschiedlichen Gebieten. Beispielsweise machen uns die gespendeten Starlink-Empfänger von Elon Musk weitgehend unabhängig von unserer sonstigen Internetstruktur. So gibt es fast überall Internetempfang, was für die Kommunikation untereinander äußerst wichtig ist.

Was wünschen Sie sich?

Dr. Piontkovskyi: Dass der Krieg bald endet, dass wir Ukrainer in einer freien und selbstbestimmten Ukraine leben können. Wir kämpfen für die Freiheit. Und wir sind bereit dafür zu sterben. Putin hat schon verloren. Er hat uns als Volk zusammengeschweißt.  Ich wünsche mir, dass jeder auf der Welt erfährt, was er und seine Soldaten bei uns anrichten. Wir werden es dokumentieren und der Welt beweisen. Meine eigene Schwester glaubt mir nicht. Sie lebt in Russland. Ich habe ihr erzählt, was russische Soldaten bei uns machen, dass sie Krankenhäuser angreifen, Kindergärten ausradieren, Zivilisten fesseln und ermorden. Sie glaubt mir nicht. Sie sagt, dass habe die ukrainische Führung erfunden und inszeniert. Jeder muss es erfahren. Jeder wird es erfahren.

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